made in germany
Als Ex-Expat teile ich mit made in germany meine Sicht auf Deutschland - als Rückkehrerin. Seit 2016 leben meine Familie und ich in Berlin und bald auch in Bayern.
Selbstbewustsein, made in germany
Caroline Roy, April 2022
Niemanden habe ich kollektiv so selbstkritisch erlebt wie uns Deutsche. Mit dem Deutschsein hat man ein Problem zu haben, sonst stimmt irgendwas nicht. Obwohl der deutsche Pass einer der begehrtesten der Welt ist, hält er im eigenen Land nicht so richtig, was er verspricht.
Weder stiftet er deutsche Identität, noch bringt der Pass in der Tasche zwangsläufig ein Gefühl für die Privilegien, die mit ihm einhergehen: freies Reisen zum Beispiel, rechtsstaatliche Sicherheit oder den Anspruch auf Grundversorgung. Im Gegenteil. Wir mäkeln an unseren Instiututionen wie ein vor dem Teller sitzendes Kind, das den Spinat nicht aufessen mag.
Die Tatsache, dass man nach dem 2. Weltkrieg mit Marshallplan, uns gewogenen Alliierten und gelungenem Wirtschaftswunder eine halbwegs gerechte Republik schaffen konnte, die ihresgleichen sucht - geschenkt! Das Grauen, welches wir über die Welt brachten, mussten wir auch nicht wirklich ausbaden. Im Gegenteil. Wir bekamen die Mischbatterie im Neubau und machten uns bei Englandreisen in den 1970er Jahren in touristischer Lautstärke darüber lustig, dass dort das Badewasser druckarm aus einem kochend heißen und einem kalten Wasserhahn in die Wanne tröpfelte.
In der Bundesrepublik floss nicht nur das perfekt temperierte Badewasser, sondern auch Bildungswohlstand, Gewerkschaften und nagelneue Infrastruktur. Das schlechte Gewissen für die systematische Ermordung von Millionen von Menschen hätte allein wegen seines messbaren Ausmaßes viel mehr Raum im deutschen Nachkriegs- und Republiksalltag einnehmen müssen. Dabei habe ich noch nichtmal die vielen zerstörten, traumatisierten und traurigen Biographien in Betracht gezogen, die mit dieser deutschen Geschichte verbunden sind, wie man es eigentlich tun müsste, um einem so grossen Thema gerecht zu werden.
Für mein Empfinden passen das Ausmass am Grauen und Zerstörung nicht mit der Erholung und dem Wohlstand nach dem deutschen Wiederaufbau zusammen. Doch muss ich mich konsequenterweise fragen: wie hätte es denn sein sollen, wie hätte es gepasst, und wie hätte es ausgesehen haben müssen? Darauf weiss ich auch keine Antwort. Aber ich kann mir eine Haltung vorstellen, die Wohlstand, Redefreiheit und Rechtstaatlichkeit nicht für selbstverständlich hält. Konsequent weitergedacht würde die Erkenntnis, dass diese Privilegien Errungenschaften und keine Selbstverständlichkeiten sind vielleicht unsere Angst, dass ohne russisches Öl und Gas gar nix mehr geht, ein wenig relativieren.
Im Frühjahr 2022 diskutieren wir über unsere Verantwortung gegenüber der Ukraine. Sollen wir alle Waffen liefern, die wir haben, wenn uns die Ukrainer darum bitten? Ein konsequentes Energie-Embargo? Das hätten wir sofort tun sollen, spätestens gestern. Schon allein deshalb, damit dieser Krieg so militärisch wie möglich geführt werden kann und nicht durch Morde und Vergewaltigungen an Kindern und Frauen noch grausamer wird, als er ohnehin schon ist. Allein das wäre ein Grund. Einer von vielen.
Es ist richtig, wenn Beobachter das öffentlich wahrgenommene Zögern kritisieren. Es kann nicht sein, dass wir dies in unseren Köpfen und Herzen nicht wissen. Aber ich kann dies nur aus der Position einer militärstrategisch Ungebildeten feststellen. Vielleicht hat Kanzler Scholz ja einen Plan, den 70% der deutschen Öffentlichkeit nicht verstehen. Und vielleicht tut er gerade genau das richtige, auch wenn es sich komplett falsch anfühlt. Wer weiss das? Katastrophal bleibt dennoch seine Kommunikation, ganz unabhängig von der Qualität seiner Entscheidungen. Wenn man eine Führungsposition (ist Kanzler eigentlich eine Führungsposition, in der man führt, oder ein Amt, welches man möglichst beamtig bekleidet? Allein sprachlich scheint das schon unentschieden) einnehmen will, muss man sein Verhalten öffentlich schlüssig darstellen können und auch wollen. Soviel Zeit muss sein, soviel Geschick müssen wir von unserem Kanzler erwarten. Die Grünen kriegen es schliesslich auch hin.
Selbst wenn man seine Strategien nicht offenlegen will, muss man für eben dieses Nichtoffenlegenwollen eine Sprache finden. Nennt es eine Erzählung, ein Narrativ, eine Geschichte, ist mir egal, solange der Kanzler plausibel mit einer mündigen deutschen Öffentlichkeit in Kontakt tritt. Ich kann mich nicht erinnern, Vertrauen in unsere politische Führung je als nötiger empfunden zu haben als gerade jetzt. Während der Corona-Krise war es mir irgendwann egal, wer was wie gesagt hat. Aus Infos, gesundem Menschenverstand, einer FFP2 Maske und Impfungen kann man da irgendwie durch. Aber es macht mich komplett irre, wie wenig wir aus den maroden Kommunikationmustern der Pandemie gelernt haben.
Ich wünsche mir klare Worte in der Politik. In den fast sechs Jahren, die ich jetzt hier lebe, habe ich viele gute Journalisten, Autoren und öffentliche Stimmen entdeckt. Heute gibt es für schlechte Kommunikation keine Entschuldigung mehr. Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Fehler in der öffentlichen Kommunikation sind gemessen an den grossen Aufgaben, die wir als Menschenkollektiv gerade lösen müssen, wirklich leicht zu verhindern. Und gerade wegen ihrer Vermeidbarkeit sind diese Fehler, wenn sie dennoch passieren, schlicht unerträglich.